Ad-libitum! Und dann?
16. Januar 2023 — Allgemein, Kälberfütterung, Tränkeautomaten — #Absetzen #Ad-libitum #CalfExpert #Energieversorgung #Kälbergesundheit #Tränkeautomat #ZunahmenÜber die Ad-libitum-Tränke von Kälbern wird viel diskutiert. Die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen: Viel Milch bringt viel Milch! Soll heißen, wenn ich den Kälbern viel Milch zu trinken gebe, hat das einen positiven Einfluss auf die spätere Milchleistung als Kuh. Dieser Effekt wird landläufig als metabolische Programmierung bezeichnet.
Viele Betriebe setzen dieses Konzept auch erfolgreich um. Andere kommen nicht so gut damit zurecht, denn oft wird berichtet, dass das Absetzen der Kälber von den hohen Milchmengen schwierig ist. Die Kälber nehmen nicht genügend Kraftfutter auf oder fallen nach dem Absetzen in ein Wachstumsloch. Die hohen Futterkosten, die die intensive Milchtränke mit sich bringt, kommen noch hinzu.
Den ökonomischen Aspekt kann man schnell widerlegen: Bewertet man nämlich die Futterkosten anhand des besseren Wachstums, sind die Kosten je Kilogramm Körpergewichtszuwachs bei den intensiv aufgezogenen Kälbern oft geringer.
Die anderen Kritikpunkte wie Kraftfutterverzehr oder Wachstumsstillstand hat Isabelle Kuhn in ihrer Masterarbeit untersucht. Ihre Ergebnisse wollen wir in diesem Artikel vorstellen.
In diesem Artikel geht es um
„Effekt der Tränkedauer und des Absetzverfahrens auf Verhaltensmerkmale und Wachstum von Aufzuchtkälbern bei ad-libitum Tränkeaufnahme“
Isabelle A. Kuhn, 2019
Im Versuch wurden zwei Gruppen von jeweils 40 weiblichen Kuhkälbern verglichen.
Die „Versuchsgruppe“ wurde bis zum Alter von 35 Tagen ad libitum am Tränkeautomaten gefüttert. Anschließend wurde sie über 9 Wochen lang langsam von 12 auf 2 Liter pro Tag abgetränkt. Das heißt, im Alter von 14 Wochen waren diese Kälber vollständig abgetränkt.
Die „Kontrollgruppe“ wurde ebenfalls 35 Tage lang ad libitum am Tränkeautomaten gefüttert. Anschließend wurden diese Kälber über 5 Wochen kontinuierlich von 12 auf 2 Liter pro Tag abgetränkt. Sie waren also im Alter von 10 Wochen vollständig von der Milch abgesetzt.
1. Energieaufnahme und Wachstum
Anhand der folgenden Kurve kann man gut erkennen, dass die Kälber damit beginnen mehr Kraftfutter aufzunehmen, sobald die Milchmenge reduziert wird. Allerdings ist auch zu erkennen, dass in der Zeit vor dem Absetzen der Milch – also während die Kälber ad libitum Milch zur Verfügung haben – kaum Kraftfutter gefressen wird. Hier bestätigen sich also die negativen Erfahrungen, die einige Praktiker gemacht haben.
Interessant sind allerdings Beobachtungen, die Isabelle Kuhn während der Absetzperiode gemacht hat. Hier nehmen wir zwei Perioden in Augenschein: die Zeit vom 36. bis 70. Tag (blau) und die Zeit vom 70. bis 98. Tag (gelb).
In der ersten Absetzphase von Tag 36 bis Tag 70 (in dieser Phase wurden die Kontrollkälber vollständig von der Milch abgesetzt) zeigten die Kälber der Versuchsgruppe (langsames Absetzen) höhere Tageszunahmen als die Kontrollgruppe (TGZ: 868,4 g vs. 770,3 g). Am Ende dieser Phase hatten die Versuchstiere ein signifikant höheres Körpergewicht von 80,7 kg gegenüber 77,7 kg. Das lag unter anderem daran, dass die gesamte Energieaufnahme aus MAT und KF bei der Versuchsgruppe höher war (27,6 MJ ME / Tag vs. 23,7 MJ ME / Tag).
In der zweiten Absetzphase von Tag 70 bis Tag 98 setzte sich dieser Trend fort. Die Versuchskälber hatten höhere TGZ (1.194 g vs. 1.046 g) bei höherer durchschnittlicher Energieaufnahme (29,2 MJ ME vs. 22,7 MJ ME). Am Ende war der Vorteil im Körpergewicht hochsignifikant mit 111,9 kg vs. 105 kg. Am Ende des Versuchs (2 Wochen nach dem finalen Absetzen der Versuchsgruppe) waren die Versuchskälber 148,5 kg schwer, während die Kontrollgruppe „nur“ auf 137 kg kam. (siehe Abbildung 2).
Ein interessantes Detail aus der Untersuchung ist, dass die Kontrollkälber (frühes Absetzen) in der kompletten Absetzphase mehr Kilogramm Kraftfutter je Kilogramm Körpergewicht aufgenommen haben als die Versuchskälber (spätes Absetzen). Sie konnten diesen Vorteil aber nicht in mehr Wachstum umsetzen, weil die Verdaulichkeit des Festfutters in dieser Zeit anscheinend noch zu gering ist. Die Versuchskälber aber profitierten in der Zeit nach den 10 Wochen vom Futtermix aus Milch und Trockenfutter.
Andere Untersuchungen (DE PASSILLÉ, A. M. B. und RUSHEN, J. (2016)) zeigten ähnliche Ergebnisse. Diese Autoren konnten zusätzlich eine starke Streuung der tierindividuellen Anpassung der Verdauung und schließlich auch der Aufnahme von Kraftfutter der Kälber in der Absetzphase nachweisen.
Eine weitere interessante Studie von Eckert et al hat Absetzzeitpunkte von 6 und 8 Wochen verglichen und konnte ebenfalls erkennen, dass die früher abgesetzten Kälber geringere Tageszunahmen aufwiesen als die Kälber, die 2 Wochen später abgesetzt wurden. Im Unterschied zu dem hier beschriebenen Versuch von I. Kuhn wurden die Kälber aber mit einem Step von 50 % in einer Woche abgesetzt, sodass sie sich nicht langsam an die Aufnahme von Kraftfutter gewöhnen konnten.
Auf den Energiekurven oben ist auch zu erkennen, dass die Kälber während und nach dem Absetzen in ein „Energieloch“ fallen, weil die steigende KF-Aufnahme den Energieverlust der Milch nicht ausgleichen kann. Dieses Defizit fällt bei den früh abgesetzten deutlich höher aus. Das zeigt sich auch bei den Körpergewichten der Kälber. Die früh abgesetzten Kälber zeigen einen deutlichen „Wachstumsknick“ (Abb. 5)
2. Verhalten der Kälber
Isabelle Kuhn hat auch das Verhalten der Kälber in den unterschiedlichen Phasen beobachtet.
Wiederkauen
So konnte sie beobachten, dass die Kälber bereits ab der 2. Lebenswoche mit dem Wiederkauen beginnen. Die Wiederkauaktivität stieg mit steigendem Alter, unterschied sich allerdings nicht zwischen den beiden Tränkeplänen. Berücksichtigt man zudem die geringe Aufnahme an Kraftfutter bis zum Absetzen der Kälber, kann die Wiederkautätigkeit der Kälber kein Indikator für eine Absetzreife sein.
Liegeverhalten
Das Liegeverhalten unterschied sich ebenfalls nicht zwischen beiden Gruppen. Auch wenn andere Untersuchungen gezeigt haben, dass Kälber, die weniger Milch bekommen, höhere Aktivitätsraten haben, scheint sich der Unterschied in erster Linie mit dem unterschiedlichen Alter der Kälber zu erklären. Hier scheint es noch Bedarf für weitere Untersuchungen zu geben.
Spielverhalten
Spielende Kälber fühlen sich wohl, das ist die landläufige Meinung. Daher wurde auch dieser Aspekt berücksichtigt. Im vorliegenden Versuch wurde zwischen beiden Gruppen allerdings kein signifikanter Unterschied im Spielverhalten der Kälber beobachtet. Hieraus kann also kein Unterschied der beiden Absetzprogramme im Hinblick auf das Wohlbefinden der Kälber abgeleitet werden.
Verhalten am Tränkeautomaten
Eine hohe Besuchsfrequenz lässt nach allgemeiner Meinung auf ein unterschwelliges Hungergefühl der Kälber schließen. Kälber, die die Tränkestation selten besuchen, scheinen im Gegensatz dazu ausreichend satt zu sein.
Im aktuellen Versuch besuchten die Kälber die Stationen in der Ad-libitum-Phase durchschnittlich 5,7 Mal. Bedingt durch die hohe Futtermenge von 12 Liter pro Tag, lag der Anteil der Besuche ohne Anrecht bei nur 2 %. Während des Absetzens steigt der Besuchsanteil „ohne Anrecht“ erwartungsgemäß an. Die früher abgesetzten Kälber hatten 6,9 Besuche „ohne Anrecht“ in der Absetzphase, während die später abgesetzten Kälber bei nur 5,8 Besuchen „ohne Anrecht“ lagen.
Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die spät abgesetzten Kälber weniger Hungergefühl hatten als die früh abgesetzten Kälber.
3. Schlussfolgerungen
Generell zeigt sich, dass eine fünfwöchige Ad-libitum-Phase mit anschließendem langsamen Abtränken positiv für die Entwicklung der Kälber ist.
Dabei ist eine längere Absetzphase aus folgenden Gründen zu bevorzugen:
- Höhere tägliche Zunahmen bei den später abgesetzten Kälbern
- Bessere Anpassung an die Verdauung von Kraftfutter und bessere Energieverwertung
- Vermeidung eines Wachstumsknicks nach dem Absetzen
- Weniger Hungergefühl bei Kälbern mit langem Absetzplan und dadurch vermeintlich besseres Tierwohl
Weitere Vorteile, die in der vorliegenden Arbeit von Isabelle Kuhn nicht dokumentiert wurden, aber durch die allgemeine Kenntnislage der Ad-libitum-Fütterung untermauert werden, sind:
- Bessere Tiergesundheit der Kälber
- Frühere Geschlechts- und Besamungsreife
- Früheres Erstkalbealter
- Geringere Aufzuchtkosten in der Färsenaufzucht (diese kompensieren die höheren Futterkosten der intensiven Milchtränke in der Regel vor der Erstkalbung)
- Bessere Laktationsleistung in der ersten Laktation
- Längere Lebensdauer und höhere Lebenstagsleistung
4. Implementierung in der Praxis mit Holm & Laue Produkten
Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass ein langsames Absetzen der Kälber von der Milch am CalfExpert Tränkeautomaten oder über die SmartID Funktion am MilchTaxi eine Ad-libitum-Tränke in den ersten Lebenswochen technisch ideal ergänzt. Die erzielten Vorteile der metabolischen Programmierung der Kälber bleiben erhalten und werden bei gutem Management weiter ausgebaut.
Ohne technische Hilfsmittel sind die Landwirte aber nicht in der Lage über viele Wochen die Milchmenge täglich in kleinen, wenigen 100ml-Schritten zu reduzieren. Moderne Tränketechnik unterstützt dabei und bietet zudem mit individuellen Auswertungsmöglichkeiten des Verhaltens am Tränkeautomaten gute Möglichkeiten zur Tierkontrolle einzelner Kälber auch bei größeren Tierzahlen.
Die Holm & Laue-Empfehlung lautet daher:
- Woche: Biestmilchtränke ad libitum
- bis 4./5. Woche: ad libitum Vollmilch oder hochwertiger MAT mit ca. 14–15 % TS
- bis 12./14. Woche langsames Abtränken am CalfExpert Tränkeautomaten oder mit SmartID am MilchTaxi
Wie Sie diese Empfehlungen in einen praktischen Tränkeplan umsetzen können, erfahren Sie im Blogbeitrag „Du bist, was Du isst! – Ernährungsplanung für Kälber.“